Ganz am Anfang?
«Ich stehe ganz am Anfang», diese Aussage höre ich immer mal wieder. Von mir oder von Menschen, die sich beruflich oder privat an ein besonderes Projekt heranwagen. «Ich stehe ganz am Anfang» hat mir ein guter Freund kürzlich gesagt, der sich beruflich selbstständig machen will. Genau die gleiche Aussage hatte ich selbst gemacht, als ich vor über sechs Jahren meine eigene Firma gründete. Ein Schritt in die Ungewissheit. Warum? Weil eigentlich schon immer vorhandene Risiken einem dann plötzlich bewusst werden. Sie werden spürbar. Näher, als einem lieb ist. Leise Stimmen mit penetranten Aussagen: «Du kannst alles verlieren. Und dann»? Wechselbad der Gefühle. In schnellem Takt wischen Zuversicht und Panik.
Kernfrage: Anfang oder ganz einfach die Angst vor dem Risiko?
Was wir nicht kennen, macht uns Angst oder gibt uns zumindest ein mulmiges Gefühl. «Jetzt nicht mehr angestellt sein» wird gleichgesetzt mit «keine Sicherheiten mehr haben». Äussern tun wir uns so, damit wir uns «ganz an den Anfang» stellen können. Gefühlt gibt uns dies mehr Raum für Fehlentscheide, mehr Verständnis von aussen, wenn wir etwas kribbelig sind. Verständnis ist wichtig und stützt uns. Und doch liegt darin ein Hauch von Opferrolle. Opferrollen beinhalten die latente Gefahr zu scheitern. Weil eigene Verantwortung an Nichtbeteiligte abgegeben wird.
Wir konzentrieren uns zu sehr auf das, was sein könnte, statt auf das, was schon ist
Jedes Ziel wird über bestimmte Wege erreicht. In jedem Weg liegt Potenzial, unsere Kompetenzen zu erweitern. Das ganze Leben ist voller Schritte in die Ungewissheit. Diese lassen sich einfacher gehen, wenn wir uns bewusst sind, wer wir sind und was unsere Stärken sind.
Was heisst in unserem Beispiel «am Anfang stehen»? Wer sich beruflich selbstständig macht, kann in der Regel auf einige Jahre berufliche Erfahrung zurückgreifen. Dazu gehören praktische Erkenntnisse, Aus- und Weiterbildungen, Erfahrung im Umgang mit Zielgruppen, Planung von gewissen Aktivitäten. Am Anfang? Hand aufs Herz: Die aufgeführten Punkte beinhalten enorm viele Soft (Sozialkompetenz) und Hard (Fachkompetenz) Skills. Kompetenzen sind bei genauerem Hinsehen sehr umfangreich. Korrekt wäre wohl die Aussage: «Ich bin unterwegs». Mit dem, was ich habe und dem, was ich noch erreichen möchte. Ein Anfang sieht anders aus …
Mitten drin!
Erfolg und Niederlagen können nicht strikt getrennt werden. Sie sind Teile unserer dynamischen Welt. Eine Niederlage kann, wird sie richtig reflektiert, im Nachhinein zu einem grossen Erfolg führen. Kurzfristiger Erfolg kann, je nach Bewertung, langfristig eine Niederlage bedeuten. Hundertprozentige Garantien gibt es nirgends. Nur den Auftrag und die Freiheit, sein Leben mit dem, was man hat, so gut wie möglich zu gestalten.
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